An der berühmten Stanford Universität in den USA gibt es das Center for Compassion and Altruism Research (CCARE), also das Zentrum für Mitgefühls- und Altruismusforschung.
CCARE wurde von Dr. James Doty, einem Stanford-Neurochirurgen, Unternehmer und Philanthrop (Menschenfreund) und derzeitigen CCARE-Direktor, ins Leben gerufen. James Doty interessiert sich seit langem für die grundlegenden Motivationen des Einzelnen, Gutes zu tun. Er initiierte eine rigorose multidisziplinäre wissenschaftlichen Anstrengung in Stanford, die darauf abzielt, die neuronalen, mentalen und sozialen Grundlagen von Mitgefühl und Altruismus zu verstehen, und stellte die erste Finanzierung für das Unternehmen bereit. Diese Initiative wurde 2005 durch den Besuch Seiner Heiligkeit des Dalai Lama an der Stanford University noch weiter verstärkt. Ein Höhepunkt dieses Besuchs war ein Dialog zwischen Wissenschaftlern des Dalai Lama und Stanford aus den Bereichen Neurowissenschaften, Psychologie und Medizin.
Ermutigt durch Dr. William Mobley, ehemaliger Professor für Neurologie und Direktor des Stanford Neurosciences Institute und Dr. Gary Steinberg, Vorsitzender der Neurochirurgie und Direktor des Stanford Institute of Neuro-Innovation and Translational Neurosciences, gründete der Dekan der Stanford School of Medicine Philipp A. Pizzo das Zentrum für Mitgefühls- und Altruismusforschung und -erziehung in Stanford (CCARE).
Die Wissenschaft vom Mitgefühl
Ich erzähle das um zu zeigen, wie sich heute Wissenschaft auf höchstem Niveau des Themas „Mitgefühl“ annimmt. Für mich ist das ein wichtiger Beleg dafür, dass es sich für uns lohnt, in unserem Leben Mitgefühl einzuüben und zu stärken. Wissenschaft und besonders Naturwissenschaft sind für mich sehr wichtige Erkenntnisquellen. Sie können nicht alles erklären aber Vieles. Und sie sind die eine wichtige kritische Instanz, wenn unser Denken und Erkennen
Das CCARE-Zentrum erforscht die positiven Eigenschaften des menschlichen Geistes, einschließlich Mitgefühl, Altruismus und Empathie. Auf der Webseite steht: Diese prosozialen Merkmale sind uns angeboren und bilden das Herzstück unserer gemeinsamen Menschlichkeit. Unsere Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, hat das Überleben und Gedeihen unserer Spezies über Jahrtausende hinweg gesichert.“
Mitgefühl macht das Leben reicher und besser
Der Gründer von CCARE, James Doty, hat ein Buch darüber geschrieben, wie es schließlich zu der Gründung des Zentrums kam (Doty 2016), (Doty 2019). Er kommt aus einer sehr armen Familie. Der Vater Alkoholiker. Die Mutter depressiv. Er wurde als Kind und Jugendlicher sehr vernachlässigt. Er erzählt davon, wie er als Jugendlicher in ein Geschäft mit Utensilien für Zaubertricks kam. Die Mutter Ruth des Inhabers interessiert sich für ihn und bringt ihm Achtsamkeitstechniken bei. Die helfen ihm ein extrem erfolgreicher Neurochirurg und Unternehmer zu werden. Eine große Lebenskrise bringt ihn zurück zu dem, was Ruth ihn gelehrt hat. Er schreibt: „Ich fragte mich, was an Ruths Lehren so überzeugend war und erkannte, dass es im Kern darum ging, das Herz zu öffnen. Mit Absicht freundlich und mitfühlend handeln. Mich faszinierte zu verstehen, wie Gehirn und Herz funktionierten und interagierten. Könnten Mitgefühl, Freundlichkeit und Fürsorge im Gehirn Spuren hinterlassen?“
In Stanford besprach er das mit Kollegen aus den Bereichen Psychologie und Neurowissenschaften. Sie stießen auf bahnbrechende Forschung, die zeigt, wie sich Mitgefühl, Altruismus und Freundlichkeit auf die Belohnungszentren im Gehirn und ihre periphere Physiologie positiv auswirkten. Es stellt sich heraus, dass Mitgefühl und Freundlichkeit gut für unsere Gesundheit sind. Diese Forschung wurde zu seiner obersten Priorität.
Eine neue Übung – Alphabet des Herzens
Auch sein persönliches Leben änderte sich. Damals hatte Ruth ihn gelehrt, zehn wichtige Lebensziele aufzuschreiben und zu verfolgen. Jetzt machte er wieder eine solche Liste: Zehn Dinge, die das Herz öffnen. Er ist davon überzeugt, dass sie in unseren Beziehungen, Familien, Arbeitsplätze und die Gruppen und Gemeinschaften, zu denen wir gehören, große positive Wirkung entfalten. Die Liste lässt sich – jedenfalls im Englischen, leicht merken. Die Themen in der Liste beginnen nämlich mit den Buchstaben C-D-E-F-G-H-I-J-K-L: Compassion – Mitgefühl, Dignity- Würde, Equanimity – Gleichmut, Forgiveness – Vergebung, Gratitude – Dankbarkeit, Humility – Demut, Integrity – Integrität, Justice – Gerechtigkeit, Kindness – Freundlichkeit, Love – Liebe. Die Liste wurde zu seinem Alphabet des Herzens. In seiner täglichen Meditationspraxis entspannt er seinen Körper und beruhigt seinen Geist. Er sagt: die Übung zentriert ihn als Arzt und als Mensch zentriert. Es erlaubte ihm, den Tag mit einer starken Absicht zu beginnen. Dann rezitiert er die Liste. Ich habe seine Beschreibungen übersetzt und meinem Verständnis angepasst. Wenn du mehr dazu hören möchtest, schau mal den kürzeren oder längeren Vortrag von James Doty an an.
Wenn du dieses Alphabet des Herzens liest oder hörst, denke bitte daran: es sind keine moralischen Regeln. James Doty hat es aufgeschrieben, um sich daran zu erinnern, was „sein Herz öffnet“, was ihn mit anderen wirklich verbindet. Gute Verbindungen zu anderen Menschen sind der wichtigste Beitrag für ein glückliches und gelungenes Leben. Schau mal, was wie das Alphabet des Herzens zu dir spricht.C –
C – Compassion – Mitgefühl
Mitgefühl bedeutet hier mehr, als im üblichen Sprachgebrauch. Gemeint ist: ich erkenne das Leiden von Menschen mit dem Wunsch und der Absicht, dieses Leiden zu lindern. Mitgefühl mit anderen braucht Mitgefühl mit mir selbst. Manchmal quäle ich mich, indem ich überkritisch bin und mir nicht die gleiche Freundlichkeit geben, wie ich das bei anderen möchte. Das macht es mir schwer und manchmal sogar unmöglich, anderen gegenüber mitfühlend zu sein. Darum geht es hier um beides: mir selbst und anderen gegenüber mitfühlend zu sein.
D – Dignity – Würde
Würde ist jedem Menschen angeboren. Dazu habe ich in meinem Blog-Post Dich selbst akzeptieren mehr geschrieben. Manchmal urteile ich über jemanden, weil er so aussieht, spricht oder sich so verhält. Und oft sind solche Urteile negativ und falsch und stellen die Würde der Person in Frage. Es geht darum dass ich die andere anschaue und zu denke „Sie sind wie ich. Sie wollen, was ich will – glücklich sein. “ Wenn ich die anderen anschaue und mich selbst sehe, kann ich mich verbinden und helfen.
E – Equanimity – Gleichmut
Gleichmut bedeutet, auch in schwierigen Zeiten ein gemäßigtes, ausgeglichenes Temperament zu haben. Gleichmut ist für die guten und die schlechten Zeiten. In guten Zeiten entsteht manchmal der Wunsch, ein Gefühl der Hochstimmung aufrechtzuerhalten und in schlechten Zeiten, die negativen Gefühle loszuwerden. Das kann mich davon ablenken, im Moment präsent zu sein. Höhen und Tiefen sind vorübergehend. Ein gemäßigtes Temperament sorgt für Klarheit des Geistes und der eigenen Absichten.
F – Forgiveness – Vergebung
Vergebung ist ein großes Geschenk, das ich einem anderen und auch mir selbst machen kann. Nelson Mandela wir die Aussage zugeschrieben: Wütend und feindselig gegenüber anderen zu sein ist so, als ob wir Gift trinken und hoffen, die anderen sterben daran. Wut und Feindseligkeit kann meine Interaktionen anderen vergiften. Es hilft mir, daran zu denken: jeder von uns hat in seinem Leben anderen Unrecht getan. Wir sind alle unvollkommene Wesen. Ich weiß aber – und das ist mein eigener Zusatz – Vergebung braucht Zeit, oft sehr lange Zeit. Wenn es mir gelingt, ist sie befreiend. Aber ich kann sie nicht erzwingen. Sie kann wachsen, wenn ich freundlich zu mir selbst und anderen bin.
G – Gratitude – Dankbarkeit
Auch darüber habe ich schon geschrieben, nämlich in meinem Blog-Post Dankbarkeit . Wenn ich Dankbarkeit kultiviere, richte ich meinen Blick auf das Gute in meinem Leben – trotz aller Schwierigkeiten, Schmerzen und Leiden. So viele Menschen auf der Welt leiden und haben sehr wenig Hoffnung auf ein besseres Leben. Besonders in unserer westlichen Gesellschaft, betrachten wir einander oft mit Eifersucht und Neid. Dankbarkeit kann einen sehr positiven Einfluss auf mein mentales Wohlbefinden haben.
H – Humility – Demut
Demut hört sich altmodisch an. Ich bin vielleicht stolz darauf, wer ich bin oder was ich erreicht habe. Ich möchte anderen vielleicht sagen und zeigen, wie wichtig ich bin. Wie viel besser ich bin als jemand anderes. Solche Gefühle können meine eigene Unsicherheit zeigen. Ich suche vielleicht nach einer Anerkennung meines Wertes außerhalb von mir selbst. Das kann mich aber von den anderen trennen. Es ist wie in Einzelhaft und ein einsamer Ort. Wenn ich erkenne, dass ich wie jeder Mensch positive und negative Eigenschaften habe und mich als gleichwertig betrachte, kann ich mich wirklich mit den anderen verbinden.
I – Integrity – Integrität
Integrität (integer sein) bedeutet, so zu handeln, wie es meinen Werten und Absichten entspricht. Dazu muss ich die Werte und Absichten kennen, die für mich am wichtigsten sind. Ich muss mich immer wieder daran erinnern und schauen, ob ich entsprechend handele. Sonst können sich die Werte und Absichten unmerklich auflösen.
J – Justice – Gerechtigkeit
Alle möchten gerecht behandelt werden. Für mich ist das einfacher, weil ich viele Ressourcen und Privilegien habe. Es geht darum auch, auch Gerechtigkeit für die Schwachen und Verletzlichen zu ermöglichen. Dazu beizutragen, ist auch meine Verantwortung, indem ich für Schwache sorge und den Armen von dem abgebe, was ich habe.
K – Kindness – Freundlichkeit
Freundlichkeit wird oft als die aktive Komponente des Mitgefühls angesehen. Dabei geht es darum, anderen Gutes zu tun, ohne dass ich den Wunsch nach persönlichem Nutzen oder Anerkennung habe. Die Forschung hat feststellt, dass Freundlichkeit nicht nur denen zugutekommt, zu denen ich freundlich bin, sondern auch mir selbst. Wenn ich freundlich bin, wird es wahrscheinlicher, dass auch die Menschen um mich herum freundlicher sind. Meine Freundlichkeit kehrt zu mir zurück. Es ist Art von sozialer Ansteckung, die unserer Gesellschaft nützt.
L – Love – Liebe
Liebe umfasst alles, was bis jetzt gesagt wurde. Wenn ich sie frei gebe, verändert sie mich und meine Welt. Letztendlich, so sagt der berühmte Neurochirurg James Doty, ist es nicht unsere Technologie oder unsere Medizin, sondern unsere Liebe, die heilt. Und es ist die Liebe, die unsere Menschlichkeit hält.
Eines Tages hört Rev. Ann Helmke, die Leiterin des Obdachlosenheims Haven for Hope und Mitbegründerin und Direktorin des Friedenszentrums von San Antonio, einen Vortrag über das Alphabet des Herzens, das sie zutiefst berührt. Sie teilt es mit vielen Menschen und inspirierte die damals 9-jährige Jenny Wren ein Armband mit 10 „Mitgefühlsperlen“ zu kreieren. Die Perlen beginnen mit Mitgefühl und enden mit Liebe: Die Reihenfolge der Perlen lautet: Mitgefühl, Würde, Gleichmut, Vergebung, Dankbarkeit, Demut, Integrität, Gerechtigkeit, Güte und Liebe. Die Perlenkette endet mit einer goldenen Perle, die die goldene Regel symbolisiert : „Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.“
Jenny fügte eine elfte „goldene Perle“ hinzu, um die goldene Regel zu symbolisieren. Letztendlich hat Rev. Helmke ein inspirierendes YouTube-Video basierend auf der Mnemonik erstellt.
Quellen
Doty, James R. 2016. Into the Magic Shop: A Neurosurgeon’s True Story of the Life-Changing Magic of Compassion and Mindfulness.
———. 2019. Das Alphabet des Herzens die wahre Geschichte über einen, der sein Herz verlor und sich selbst fand. Knaur MensSana Taschenbuch.