Selbstakzeptanz trägt wesentlich zu unserem Wohlbefinden bei und unterstützt uns dabei, einen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.
Was ist das: Selbstakzeptanz?
Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 sagt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Und Artikel 1 unseres Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Diese Vorstellung von Menschenwürde gibt es auch in den Religionen. Im 1. Kapitel des Buches Genesis steht: »Gott schuf also den Menschen als sein Bild; als Bild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.«
Jon Kabat-Zinn, der MBSR-Gründer, schreibt: “As long as you are breathing, there is more right with you than there is wrong, no matter how ill or how hopeless you may feel.” Das bezieht sich auch auf dich und mich und alle Menschen.
Selbstakzeptanz bedeutet: wir nehmen uns selbst an mit allen unseren Eigenschaften, allen Stärken und Schwächen, unseren Fähigkeiten, unserer Freude und unserem Leid und auch allem, was wir im Leben getan und unterlassen hast. Das ist es, worauf sich unsere unantastbare Würde, unser unzerstörbarer Wert bezieht.
Das ist für viele nicht leicht. Es gibt starke innere Einsprüche: ich habe viele Fehler gemacht, ich könnte disziplinierter sein, klüger, schöner … Ich bin sehr unvollkommen. Warum soll und darf ich mich akzeptieren?
Aber unsere Würde und unser Wert als Mensch müssen unabhängig von unseren Eigenschaften und Handlungen sein. Wären sie abhängig davon, dass wir perfekt und fehlerfrei sind, könnte es sie nicht geben. Alle Menschen sind unvollkommen!
Selbstakzeptanz bedeutet, dass wir wissen: ich habe Stärken und Schwächen, ich habe manches richtig gemacht und anderes vielleicht nicht. Wie alle Menschen. Das erkenne ich klar und im Angesicht dieser Unvollkommenheit weiß ich: Ich habe unzerstörbare Würde und Wert. Wie alle Menschen.
So wünschen wir uns, dass Eltern sein sollen: dass sie ihre Kinder ohne Vorbedingungen akzeptieren und ihre Liebe und Akzeptanz nicht von Leistung, Schönheit, Wohlverhalten der Kinder abhängig machen. Selbstakzeptanz bedeutet: wir haben ein solches Verhältnis zu uns selbst.
Warum sollen wir uns selbst akzeptieren?
Warum sollen wir „Selbstakzeptanz“ entwickeln? Beweisen kann ich das nicht. Aber es gibt viele plausible Gründe dafür.
Wie ich versucht habe darzustellen, ist Selbstakzeptanz eine Konsequenz des Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und unseres Grundgesetzes. Sie muss bedingungslos sein, sonst könnte es sie nicht geben, weil alle Menschen unvollkommen sind.
Ein zweiter Grund: Mangelnde Selbstakzeptanz gilt als wichtiger Auslöser von psychischen Störungen wie Depression, Angstzuständen, Versagensängsten usw.
Ein dritter wichtiger Grund: Selbstakzeptanz macht uns zu glücklicheren und „besseren“ Menschen. Wenn wir uns selbst akzeptieren, also an unseren Wert und unsere Würde auch im Angesicht unserer Unvollkommenheit glauben, fällt ein großer Druck von uns ab. Wir können aufhören, einen aussichtslosen Kampf zu führen: uns Wert und Würde zu erarbeiten, indem wir versuchen, perfekt zu werden oder von anderen bestätigt zu werden. Wir haben weniger Angst und mehr Energie, herauszufinden, was unsere Stärken und Schwächen sind, was uns wirklich wichtig ist und das auch umzusetzen. Anerkennung von Schwächen bedroht nämlich nicht mehr unseren Wert und unsere Würde. Wenn uns unser Glück und das der anderen Menschen wichtig ist, können wir das jetzt mehr in die Tat umsetzen und werden so zu „besseren Menschen“. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass wir solche Werte haben. An anderer Stelle werde ich etwas dazu sagen, warum das eine plausible Haltung ist.
Vielleicht magst du an dieser Stelle eine kleine Übung machen. Schließe die Augen und stell dir vor, wie es wäre, wenn du dich so akzeptieren könntest, wie du bist.
Warum ist es nicht leicht, uns selbst zu akzeptieren?
Die Psychologie und Neurobiologie wissen heute: unser Bewusstsein, dass wir ein „Selbst“ sind, dass sich selbst akzeptieren kann, entwickelt sich langsam, siehe (Seltzer 2008). Als Kinder sind wir lange abhängig davon, ob uns unsere Eltern und die anderen engen Bezugspersonen anerkennen. Wenn sie uns akzeptieren, tun wir das auch. Wenn sie ihre Anerkennung von Bedingungen abhängig machen, zum Beispiel von unseren Leistungen, unserem Äußeren, unserem Wohlverhalten, lernen wir, uns auch so zu sehen. Auch wir selbst können uns nur bedingt akzeptieren. Wenn sie uns ablehnen, tun wir das auch.
Wenn diese Bezugspersonen kritisch sind entwickeln wir „innere Kritiker“, siehe (Peichl 2014). Das sind Gedanken, „innere Stimmen“, die uns kritisieren wie unsere Bezugspersonen. Wenn wir klein sind, haben sie die Funktion, den äußeren Kritikern zuvor zu kommen. Damit wir schon vorsorglich alles richtig machen und uns nicht mehr der vielleicht vernichtenden Kritik aussetzen müssen. Diese inneren Kritiker bleiben leider auch, wenn wir erwachsen werden und die äußeren Kritiker ihre Macht verlieren. Sie kritisieren uns weiter, obwohl ihre Schutzfunktion nicht mehr gebraucht wird. So funktioniert die menschliche Psyche. Oft glauben wir diesen inneren Kritikern. Wir merken gar nicht, dass sie Schutzmechanismen von früher sind.
Ist es nicht auch berechtigt, diesen inneren Kritikern zu „glauben“? Damit sollten wir sehr vorsichtig und zurückhaltend sein.
Erstens haben sie oft einen sehr vernichtenden Unterton. Sie ziehen dann unseren Wert und unsere Würde in Zweifel. Davor müssen wir uns schützen! Nein, dem dürfen wir nicht glauben. Das hilft niemandem. Sie haben nicht recht. Das verstößt gegen unsere Menschenwürde.
Zweitens erfordert eine gerechte und sachliche Einschätzung unserer Eigenschaften und Handlungen eine wohlwollende, freundliche und kluge Haltung. Die inneren Stimmen haben diese Qualitäten meistens nicht.
Was ist unser Handlungsspielraum?
Klugheit bedeutet auch: unseren Handlungsspielraum realistisch einzuschätzen. Die inneren Stimmen sagen „du hättest doch nur …“. Aber das stimmt so nicht.
In (Roth 2017) beschreibt der Biologe Gerhard Roth, wie Entscheidungen aus der Sicht der modernen Hirnforschung funktionieren. Nur ein kleiner Teil davon ist bewusst. Der größte Teil verläuft unbewusst, zum Beispiel der Verglich von Handlungsoptionen mit Inhalten unseres emotionalen Gedächtnisses. Da wird geprüft, ob eine solche voraussichtlich angenehm oder unangenehm wäre und so wird sie dann emotional „einfärbt“. Ich habe zum Beispiel Höhenangst. Wenn ich vor Türmen stehe, ist es mir fast unmöglich, hinaufzusteigen. Wenn ich es trotzdem versuche, ist das mit Schmerzen in den Beinen verbunden und mit großer Angst. Es ist also fraglich, worin unser Handlungsspielraum, unser „freier Wille“ wirklich besteht. Er ist mindestens sehr begrenzt. Darum ist es fraglich, ob wir wirklich anders handeln konnten, als wir es getan haben.
Für die Entwicklung von Selbstakzeptanz finde ich es hilfreich, so über die eigene Vergangenheit zu denken: Was wir in der Vergangenheit gedacht, gefühlt und getan haben, ist genau das, was wir damals denken, fühlen und tun konnten. Vielleicht fehlten uns aus heutiger Sicht Einsichten, vielleicht hatten wir aus heutiger Sicht die falschen Ziele oder waren unfähig unseren Einsichten zu folgen. In diesem Sinn konnten wir nicht andres handeln und können und müssen akzeptieren, was war. Schuldgefühle sind unangebracht. Aber vielleicht hatten unsere Handlungen schlechte Folgen für uns und andere. Das können wir erkennen, bedauern, betrauern und die Verantwortung dafür übernehmen. Verantwortung übernehmen bedeutet: jetzt „besser“ zu handeln. Selbstakzeptanz begünstigt aber sehr, dass wir jetzt „besser“ handeln können.
Wie lernen wir Selbstakzeptanz?
Das erste ist ein wenig „Edukation“: mache dir klar, warum es gut und richtig ist, dich so zu akzeptieren, wie du bist. Dann übe! Dann kannst du aus einer Vielzahl von Übungen eine für dich passende aussuchen. Übungen findest zu du zum Beispiel hier.
Vor Jahren habe ich von einer Psychotherapeutin diese Übung gelernt. Ich erkläre, wie ich sie heute mache`: Ich lege meine Hand auf mein Herz, nehme sie wahr, atme tief ein und aus und sage zu mir selbst: Ich bin Johannes Buchmann, ich bin 66 Jahre alt und akzeptiere mich so, wie ich bin. Ich versuche das mit Bewusstsein und Überzeugung zu tun. Das kannst du auch versuchen. Oder du schaust zum Beispiel hier.
Auch Achtsamkeitsmeditation ist eine gute Weise, Selbstakzeptanz zu lernen. Du lernst, dich im gegenwärtigen Moment freundlich wahrzunehmen, wie du bist. Ohne Beurteilung. Du praktizierst Selbstakzeptanz. Du kannst am Ende der Meditation dein Gewahrsein ausweiten auf deinen ganzen Körper, deine Gedanken und Gefühle, alle deine Eigenschaften und dich so freundlich und ohne Beurteilung wahrnehmen.
Und nicht zuletzt stärkt die Praxis der Selbstmitgefühlsmeditation deine Selbstakzeptanz. Indem du anderen und dir selbst gute Wünsche schickst. Siehe (Neff 2012). Die Autorin hat auch eine sehr instruktive Webseite, auf der es viele angeleitete Meditationen gibt.
Referenzen
Ackerman, Courtney E. 2018. „What Is Self-Acceptance? 25 Exercises + Definition and Quotes“. PositivePsychology.com. (29. August 2020).
Neff, Kristin. 2012. Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden. Random House.
Peichl, Jochen. 2014. Rote Karte für den inneren Kritiker: wie aus dem ewigen Miesmacher ein Verbündeter wird. München: Kösel.
Roth, Gerhard. 2017. Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. 12. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta.
Seltzer, Leon F. 2008. The Path to Unconditional Self-Acceptance Psychology Today.