Beim Meditationsabend im Mai 2020 habe ich über Achtsamkeitsmeditation für ein glücklicheres Leben gesprochen.
Glück
Am Anfang stand die Aussage des Dalai Lama [1], [2]: der Zweck des Lebens besteht darin, Glück zu suchen. Ich habe berichtet von den sechs Säulen des Glücks, welche die amerikanische Psychologin Carol Ryff [3] vorschlägt: Selbstakzeptanz, persönliches Wachstum, Autonomie, Meisterschaft, befriedigende Beziehungen und Lebenszweck. Das sind vorgeschlagene Ausrichtungen des eigenen Lebens, die uns glücklicher und zufriedener machen sollen und uns ermöglichen, ein gelungenes Leben zu leben. Die Glücksforschung nennt dies „eudaimonisches“ Glück oder Wohlbefinden. Dies geht auf den Begriff „Eudaimomia“ von Aristoteles zurück. Er meint: das Leben auf eine erfüllende und tief befriedigende Weise zu leben. Ich habe versucht, zu zeigen, dass die Praxis der Achtsamkeit und Achtsamkeitsmeditation eine gute Basis dafür bilden.
Glücksforschung
Das hat mich motiviert, ein bisschen mehr über Glücksforschung zu lesen. Da gibt es auch einen anderen, verwandten Ansatz. Dabei geht es um subjektives Wohlbefinden (Subjective Well Being, SWB). In der sogenannten positiven Psychologie beschäftigen sich Forscher*innen mit der Frage, wie wir unser subjektives Wohlbefinden steigern können. Es zeigt sich, dass auch dabei Meditation und Achtsamkeit eine wichtige Rolle spielen. Um herauszufinden, wie das subjektive Wohlbefinden von Menschen ist, benutzen Psycholog*innen Fragebögen. Es ist interessant, einen solchen Fragebogen auch einmal selbst auszufüllen.
Ein Glücksfragebogen
Ein ganz einfacher Fragebogen wurde von der Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky [4] [5] entwickelt:
„Bitte entscheiden Sie für die untenstehenden Aussagen, inwieweit diese auf Sie persönlich zutreffe. Der Wert 1 entspricht der Aussage links der Skala. Der Wert 7 entspricht dem Wert rechts der Skala. Die Werte dazwischen sind die entsprechenden Abstufungen.
Bewerten Sie folgende Aussagen:
- Im Großen und Ganzen halte ich mich für: keinen sehr glücklichen – einen sehr glücklichen Menschen.
- Verglichen mit den Menschen in meiner Umgebung halte ich mich für: weniger glücklich – glücklicher
- Manche Menschen sind im Großen und Ganzen sehr glücklich. Sie genießen das Leben unabhängig von ihrer Situation und machen aus allem das Beste. In wieweit trifft diese Beschreibung auf Sie zu: gar nicht – voll
- Manche Menschen sind im Großen und Ganzen sehr unglücklich. Auch wenn sie nicht unter Depression leiden, scheinen sie nie so glücklich zu sein, wie sie es gerne wären. Inwieweit trifft diese Beschreibung auf Sie zu: voll – gar nicht.
Auswertung: Zählen Sie die Werte zusammen und teilen Sie den Wert durch 4. Das ist Ihr gegenwärtiges Glückslevel.“
Wir können unser Glück beeinflussen
Es gibt natürlich viel komplexere Fragebögen. Aber der Ansatz ist derselbe. Es werden keine objektiven Kriterien aufgestellt, welche das Glück charakterisieren sondern die Psycholog*innen fragen nur danach, wie die eigene Einschätzung ist. Die positive Psychologie hat experimentell herausgefunden, dass das subjektive Wohlbefinden nicht unwesentlich davon abhängt, was wir tun. In ihrem Buch zeigt die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky unser Glück als „Kuchen“. Sie schreibt: Die Hälfte davon ist genetisch vorbestimmt, 10 % hängt von unseren Lebensumständen ab und 40 % von unseren Handlungen. Diese Aufteilung ist zwar nicht unumstritten. Aber die Glücksforscher*innen sind sich einig: unsere Handlungen tragen nicht unwesentlich zu unserem Glück bei. Das versuchen Sie, experimentell zu belegen. Sie lassen Menschen bestimmte Übungen machen. Sie messen ihr Glückslevel vorher und hinterher und schauen sich den Effekt an.
Ich finde diese Forschungen inspirierend. Auch wenn ich von der Quantifizierung nicht völlig überzeugt bin, gibt sie doch sehr schöne Anregungen was wir tun können, um glücklicher zu werden. Und vergessen wir nicht: wenn wir glücklicher und zufriedener sind, nützt das nicht nur uns sondern allen Menschen. Das ist kein egoistisches Unterfangen.
Dankbarkeit macht uns glücklicher
Ich möchte heute einen Aspekt herausgreifen, der wesentlich zum eigenen Glück und Wohlbefinden beiträgt: Dankbarkeit. Es ist eine positive Haltung deinem Leben gegenüber so wie es ist und geworden ist. Die Forschung zeigt, dass dankbare Menschen glücklicher sind, mehr Energie haben, hoffnungsvoller sind und häufiger positive Gefühle haben. Sie sind auch empathischer, hilfsbereiter und hilfreicher und weniger depressiv, ängstlich, einsam und neidisch.
Warum ist das so? Wer dankbar ist hat mehr Freude und Zufriedenheit in seinem gegenwärtigen Leben. Die Selbstwahrnehmung wird positiver. Dankbarkeit macht es auch leichter, mit Stress umzugehen und unterstützt soziale Beziehungen. Dankbarkeit reduziert die Neigung, sich mit anderen zu vergleichen und ist auch ein gutes Gegenmittel gegen Ärger und Gier.
Wir können Dankbarkeit einüben
Wenn du gerne schreibst, kannst du ein Dankbarkeitstagebuch führen. Vielleicht möchtest du einen regelmäßigen Zeitpunkt dafür wählen. Sonja Lyubomirsky schlägt vor, dass einmal pro Woche zu machen. Vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt. Und dann schreibst du einfach auf, wofür du gerade dankbar bist. Das können ganz einfache Sachen sein. Deine Spülmaschine wurde erfolgreich repariert. Die Blumen auf deinem Balkon oder in deinem Garten blühen. Es können ganz großartige Sachen sein: eine herrliche Landschaft. Eine wunderbare Freundin. Es können Dinge sein, die du gut kannst. Ziele, die du erreicht hast. Menschen, die dir geholfen haben.
Auch dabei unterstützt dich die Praxis der Achtsamkeit. Du nimmst deutlicher wahr, was in deinem Leben passiert und wofür du dankbar sein kannst.
Du kannst auch auf andere Weise üben. Du kannst dich hinsetzen und daran denken, wofür du dankbar sein kannst. Wenn du religiös bist, kannst du Dankbarkeit in dein Gebet aufnehmen. Du kannst jeden Tag einen weniger dankbaren Gedanken (zum Beispiel: meine Partnerin hat mich schon wieder kritisiert) durch einen dankbaren Gedanken (zum Beispiel: wie schön ist es, von ihr in den Arm genommen zu werden) ersetzen. Du kannst dir eine Dankbarkeits-Partnerin suchen, mit der du dich darin austauschst, wofür ihr dankbar seid. Sei kreativ. Sei nicht zu angestrengt sondern macht es mit Leichtigkeit.
Eine andere schöne Möglichkeit ist es auch, anderen deine Dankbarkeit direkt zu sagen. Persönlich, in einem Brief oder einer E-Mail. Wenn du dein Dankbarkeitstagebuch schreibst oder darüber nachdenkt, wofür du dankbar bist, fallen dir vielleicht andere Menschen ein. Deine Eltern, deine Geschwister, deine Freundinnen. Vielleicht hast du manchmal den Wunsch, eine dieser Personen zu schreiben und deine Dankbarkeit auszudrücken. Vielleicht willst du den Brief verschicken. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist diese Handlung einfach nur für dich. So kannst du auch Dankbarkeit zeigen, wenn die andere Person, der du dankbar bist ,schon gestorben ist.
Dankbarkeit und Achtsamkeit
Ich glaube, dass es eine enge Verbindung gibt zwischen der Praxis der Achtsamkeit und der Dankbarkeit. Die Haltung der Achtsamkeit ist eine Haltung der Offenheit und Freundlichkeit und Aufmerksamkeit. Gute Voraussetzungen für Dankbarkeit. Du kannst Dankbarkeit auch in deiner Meditation kultivieren. Wenn du den Insight-Timer benutzt, findest du dort auch angeleitete Meditationen zu Dankbarkeit.
Referenzen
[1] Dalai Lama und Howard C. Cutler, Die Regeln des Glücks (Freiburg: Herder, 2012).
[2] Dalai Lama und Howard Cutler, The Art of Happiness: A Handbook for Living (London: Yellow Kite, 2017).
[3] Carol D. Ryff, „Happiness Is Everything, or Is It? Explorations on the Meaning of Psychological Well-Being.“, Journal of Personality and Social Psychology 57, Nr. 6 (1989): 1069–81, https://doi.org/10.1037/0022-3514.57.6.1069.
[4] Sonja Lyubomirsky, The How of Happiness: A New Approach to Getting the Life You Want (New York, N.Y.: Penguin Books, 2008).
[5] Sonja Lyubomirsky, Glücklich sein: warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben, übers. von Jürgen Neubauer, 2., aktualisierte Neuausgabe (Frankfurt New York: Campus Verlag, 2018).