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Engagierte Achtsamkeit

Wie beim letzten Medtationsabend versprochen, möchte ich heute über soziales Engagement und Achtsamkeit sprechen.

Der Dalai Lama sagt: „Es reicht nicht aus, mitfühlend zu sein. Du musst handeln. Das Handeln hat zwei Aspekte. Eine besteht darin, die Verzerrungen und Leiden deines eigenen Geistes zu überwinden, das heißt die Wut zu beruhigen und schließlich zu zerstreuen. Dies ist Handlung aus Mitgefühl. Der andere ist sozialer, öffentlicher. Wenn in der Welt etwas getan werden muss, um das Unrecht zu korrigieren, wenn man wirklich daran interessiert ist, anderen zu nützen, muss man engagiert und involviert sein.“ – Der Dalai Lama

Thich Nhat Hanh – engangierter Buddhismus

Im Jahr 1954 prägte der Achtsamkeitslehrer und buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh den Begriff „Engagierter Buddhismus“.

Ich möchte etwas über ihn erzählen. Er wurde 1926 in Vietnam geboren und trat mit 16 Jahren ins Kloster ein. Während des Vietnamkrieges war er einer der Initiatoren der Bewegung “Engagierter Buddhismus“, 1964 gründete er in Saigon die “Schule für Jugend und Sozialarbeit”. Diese Organisation setzte sich dafür ein, bombardierte Dörfer wiederaufzubauen, Schulen und medizinische Zentren zu schaffen und landwirtschaftliche Kooperativen zu organisieren.

Als Thich Nhat Hanh 1966, am Ende einer Friedensmission in den USA und Europa, nach Vietnam zurückkehren wollte, wurde ihm die Einreise verweigert. danach lebte er in Frankreich im Exil. Auf mehreren Reisen durch Europa und Nordamerika setzte er sich weiter für den Frieden in seiner Heimat ein. 1967 nominierte ihn Martin Luther King Jr. für den Friedensnobelpreis. Thomas Merton, der bekannte katholische Mönch, schrieb ein Essay mit dem Titel “Thich Nhat Hanh ist mein Bruder”, in dem er Thich Nhat Hanhs Friedensbemühungen uneingeschränkt unterstütze.

Zentren engagierter Achtsamkeit

1982 gründete Thich Nhat Hanh “Plum Village”, eine buddhistische Gemeinschaft im Südwesten Frankreichs, wo er seitdem lebt. Von dort engagierte er sich für vietnamesische Flüchtlinge, politische Gefangene und hungernde Kinder in Vietnam. Inzwischen ist Plum Village ein internationales Retreat-Zentrum geworden – mit annähernd 200 Mönchen und Nonnen, die dort leben und praktizieren und das ganze Jahr über Retreats anbieten. 2008 etablierte Thich Nhat Hanh in Waldbröl das European Institute for Applied Buddhism, ein weitere Zentrum für Retreats rund um das Thema Achtsamkeit.

14 Achtsamkeitsübungen

Die sozial engagierte Ausrichtung des Ordens wird in den 14  Achtsamkeitsübungen deutlich. Du denkst vielleicht, das sind Gebote, wie wir das aus dem Christentum kennen. Aber der Orden sagt dazu: „Sie sind nicht von feste Regeln sondern bieten sie einen Rahmen, um über unser Handeln, Sprechen und Denken nachzudenken, damit wir mehr Glück für uns selbst und für die Welt um uns herum schaffen können.“

Die erste Übung der Achtsamkeit – Offenheit

Im Bewusstsein des Leidens, das durch Fanatismus und Intoleranz entsteht sind wir entschlossen, keine Lehrmeinung, Theorie oder Ideologie, auch keine buddhistischen, zu vergöttern oder an diese gebunden zu sein. Wir sind entschlossen, die buddhistischen Lehren als Unterstützung zu sehen, die uns hilft, tief zu schauen und Verständnis und Mitgefühl zu entwickeln. Sie sind keine Lehren, für die man kämpfen, töten oder sterben muss.

Die zweite Übung der Achtsamkeit – Nicht-Haften an Ansichten

Im Bewusstsein des Leidens, das durch Anhaften an Ansichten und falsche Wahrnehmungen entsteht, sind wir entschlossen, Engstirnigkeit zu vermeiden und uns nicht an unsere gegenwärtigen Ansichten zu binden. Wir wollen das Nicht-Anhaften an Ansichten üben, um für die Einsichten und Erfahrungen anderer offen zu sein. Wir sind uns bewusst, dass unser derzeitiges Wissen keine unveränderliche, absolute Wahrheit ist. Da sich Wahrheit nur im Leben selbst findet, wollen wir in jedem Augenblick das Leben in uns und um uns herum achtsam wahrnehmen und bereit sein, ein Leben lang zu lernen.

Die dritte Übung der Achtsamkeit – Freiheit des Denkens

Im Bewusstsein des Leides, das durch Aufzwingen von Meinungen entsteht, sind wir entschlossen, niemandem – auch nicht Kindern – unsere Meinungen aufzunötigen, weder durch Autorität, Drohung, Geld, Propaganda noch Indoktrination. Wir wollen das Recht anderer respektieren, anders zu sein und selbst zu wählen, an was sie glauben und wofür sie sich entscheiden. Wir wollen jedoch anderen in anteilnehmendem Gespräch helfen, Fanatismus und Engstirnigkeit zu überwinden.

Die vierte Übung der Achtsamkeit – Bewusstheit für das Leiden

Im Bewusstsein, dass es uns helfen kann, Mitgefühl zu entwickeln und Wege zur Überwindung des Leidens zu finden, wenn wir tief in die Natur des Leidens schauen, sind wir entschlossen, dem Leiden nicht aus dem Weg zu gehen oder die Augen davor zu verschließen. Wir verpflichten uns, Kontakt mit denen zu suchen, die leiden. Auf diese Weise erlangen wir tiefes Verständnis für ihre Situation und helfen ihnen dabei, ihr Leiden in Mitgefühl, Frieden und Freude zu verwandeln.

Die fünfte Übung der Achtsamkeit – gesund und einfach leben

Im Bewusstsein, dass wahres Glück in Frieden, Festigkeit, Freiheit und Mitgefühl wurzelt, nicht aber in Reichtum und Ruhm, sind wir entschlossen, unser Leben nicht auf Ruhm, Profit, Reichtum oder sinnliches Vergnügen auszurichten und auch keine Reichtümer anzuhäufen, solange Millionen hungern und sterben. Wir verpflichten uns, ein einfaches Leben zu führen und unsere Zeit, Energie und materiellen Mittel mit denen zu teilen, die in Not sind. Wir üben uns, achtsam zu essen, zu trinken und zu konsumieren und auf Alkohol, Drogen und andere Mittel zu verzichten, die uns und unserer Gesellschaft körperlich und geistig schaden können.

Die sechste Übung der Achtsamkeit – mit Ärger umgehen

Im Bewusstsein des Leides, das durch Hass und Ärger entsteht, sind wir entschlossen, die Energie des aufsteigenden Ärgers achtsam wahrzunehmen, um seine in den Tiefen unseres Bewusstseins liegenden Samen zu erkennen und zu verwandeln. Wenn Ärger in uns aufkommt, wollen wir nichts tun oder sagen, sondern achtsames Atmen und achtsames Gehen praktizieren und ihn annehmen, ihn mit unserer Achtsamkeit umarmen und tief in ihn hineinschauen. Wir wollen lernen, diejenigen, die wir für die Verursacher unseres Ärgers halten, mit mitfühlenden Augen zu sehen.

Die siebte Übung der Achtsamkeit – glücklich im gegenwärtigen Moment verweilen

Im Bewusstsein, dass Leben nur im gegenwärtigen Augenblick stattfindet und dass es nur im Hier und Jetzt möglich ist, glücklich zu leben, verpflichten wir uns zu der Übung, jeden Augenblick des täglichen Lebens in tiefer Bewusstheit zu leben. Wir wollen versuchen, uns nicht in Zerstreuungen oder im Bedauern über die Vergangenheit oder in Sorgen über die Zukunft zu verlieren. Wir wollen uns in der Gegenwart nicht von Begehrlichkeiten, Ärger oder Eifersucht gefangen nehmen lassen. Wir wollen achtsames Atmen üben, um zu dem zurückzukommen, was im gegenwärtigen Augenblick geschieht. Wir sind entschlossen, die Kunst des achtsamen Lebens zu erlernen, indem wir die wunderbaren, erfrischenden und heilenden Kräfte berühren, die wir in und um uns herum vorfinden. Indem wir den Samen der Freude, des Friedens, der Liebe und des Verstehens in uns Nahrung geben, fördern wir den Prozess der Transformation und Heilung in unserem Bewusstsein.

Die achte Übung der Achtsamkeit – Gemeinschaft und Kommunikation

Im Bewusstsein, dass ein Mangel an Kommunikation stets Trennung bewirkt und Leiden schafft, verpflichten wir uns, mitfühlendes Zuhören und liebevolle Rede zu üben. Wir wollen lernen, tief zuzuhören, ohne zu bewerten oder zu reagieren, und wir wollen es unterlassen, Worte zu äußern, die Zwietracht säen oder zu einem Bruch in der Gemeinschaft führen können. Wir wollen keine Anstrengung scheuen, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten, zu versöhnen und Konflikte zu lösen, so klein sie auch sein mögen.

Die neunte Übung der Achtsamkeit – wahrhafte und rechte Rede

Im Bewusstsein, dass Worte sowohl Leid als auch Glück hervorrufen können, wollen wir wahrhaftig und aufbauend reden lernen und nur so sprechen, dass Hoffnung und Vertrauen geweckt werden. Wir sind entschlossen, nichts Unwahres zu sagen, weder aus Eigeninteresse, noch um andere zu beeindrucken. Wir wollen keine Nachrichten verbreiten, für deren Wahrheitsgehalt wir uns nicht verbürgen können und wir wollen nichts kritisieren oder missbilligen, worüber wir selber nichts Genaues wissen. Wir wollen unser Bestes tun, Unrecht beim Namen zu nennen, selbst dann, wenn wir dadurch unsere eigene Sicherheit gefährden.

Die zehnte Übung der Achtsamkeit – die spirituelle Gemeinschaft schützen

Im Bewusstsein, dass die Übung des Verstehens und Mitfühlens Sinn und Ziel unserer Gemeinschaft ist, sind wir entschlossen, die Gemeinschaft weder zum Zwecke persönlichen Vorteils oder Gewinns zu benutzen, noch sie in ein politisches Instrument zu verwandeln. Eine spirituelle Gemeinschaft sollte jedoch deutlich Stellung beziehen gegen Unterdrückung und Unrecht und sollte bemüht sein, entsprechende Zustände zu verändern, ohne sich in parteiliche Konflikte verstricken zu lassen.

Die elfte Übung der Achtsamkeit – rechter Lebenserwerb

Im Bewusstsein, dass unserer Umwelt und Gesellschaft Gewalt und großes Unrecht angetan worden ist, sind wir entschlossen, in unserem Lebenserwerb den Menschen und der Natur nicht zu schaden. Wir wollen unser Bestes tun und eine Lebensweise wählen, die dazu beiträgt, unser Ideal von Verstehen und Mitgefühl zu verwirklichen. In Kenntnis der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wirklichkeiten unserer Welt wollen wir uns als Konsumentinnen und Konsumenten und Bürgerinnen und Bürger verantwortungsbewusst verhalten und nicht in Unternehmen investieren, die andere ihrer Lebensmöglichkeiten berauben.

Die zwölfte Übung der Achtsamkeit – Ehrfurcht vor dem Leben

Im Bewusstsein, dass Kriege und Konflikte großes Leid verursachen, sind wir entschlossen, in unserem täglichen Leben Gewaltlosigkeit, Verstehen und Mitgefühl zu entwickeln. Wir wollen innerhalb von Familie, Gesellschaft und Staat und in der Welt zur Erziehung zum Frieden beitragen, bei Streitigkeiten in Achtsamkeit vermittelnd eingreifen und Versöhnung fördern. Wir sind entschlossen, nicht zu töten und es nicht zuzulassen, dass andere töten. Zusammen mit unserer Sangha wollen wir uns in tiefem Schauen üben, um bessere Wege zum Schutz des Lebens und zur Verhinderung von Kriegen zu finden.

Die dreizehnte Übung der Achtsamkeit – Freigiebigkeit

Im Bewusstsein, dass durch Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit, Diebstahl und Unterdrückung Leiden entsteht, verpflichten wir uns, liebende Güte zu pflegen und Wege zu beschreiten, die zum Wohlergehen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Ökosystemen beitragen. Wir wollen Freigiebigkeit praktizieren, indem wir unsere Zeit, Energie und materiellen Mittel mit denen teilen, die in Not sind. Wir sind entschlossen, nicht zu stehlen und nichts zu besitzen, was anderen zusteht. Wir wollen das Eigentum anderer achten und werden andere davon abhalten, sich am menschlichen Leiden und am Leiden anderer Wesen zu bereichern.

Die vierzehnte Übung der Achtsamkeit – rechte Lebensführung

Im Bewusstsein, dass sexuelle Beziehungen, die durch Begierde ausgelöst werden, das Gefühl der Einsamkeit nicht zum Schwinden bringen können, sondern noch mehr Leiden, Frustration und Einsamkeit hervorrufen, sind wir entschlossen, ohne gegenseitiges Verstehen, ohne Liebe und ohne eine langfristige und verpflichtende Bindung keine sexuelle Beziehung einzugehen. Wir sind uns bewusst, dass sexuelle Beziehungen die Ursache für zukünftiges Leid sein können. Wir wissen, dass wir unsere eigenen und die Rechte und Verpflichtungen anderer respektieren müssen, wenn wir unser eigenes und das Glück anderer bewahren wollen. Wir wollen alles tun, was in unserer Macht steht, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen und um zu verhindern, dass Paare und Familien durch sexuelles Fehlverhalten entzweit werden. Wir wollen unseren Körper rücksichtsvoll behandeln und unsere Lebensenergien (die sexuelle, den Atem, den Geist) der Verwirklichung unseres Bodhisattva-Ideals widmen. Wir wollen uns der Verantwortung voll bewusst sein, neues Leben in die Welt zu setzen, und wir wollen die Welt, in die wir neue Wesen setzen,