Hast du jemals bemerkt, wie schnell wir manchmal Dinge persönlich nehmen? Ob es der kritische Kommentar eines Kollegen ist, ein gestresster Partner oder der unfreundliche Autofahrer auf der Straße – oft fühlen wir uns direkt angegriffen oder verletzt.
Das Persönlichnehmen kann negative Konsequenzen haben: Es verursacht Stress und Angst, führt zu Missverständnissen und Konflikten in unseren Beziehungen und mindert unsere Lebensqualität. Aber Persönlichnehmen ist oft weder gerechtfertigt noch eine gute Strategie. Warum ist Persönlichnehmen nicht angemessen? Es gibt Situationen, in denen das offensichtlich ist. Vor vielen Jahren hatte ich einen Bekannten. Immer, wenn es mehrere Schlangen gab, wo man sich anstellen musste, glaubte er: seine Schlange sei immer die langsamste. Das machte ihn sehr ärgerlich. Aber gibt es nicht Situationen, die man offensichtlich persönlich nehmen muss?
Ich erzähle dazu eine kleine Geschichte: Es ist die Geschichte eines alten weisen Mönchs. Eines Tages kam ein junger Mann zu ihm und begann, ihn zu beschimpfen und zu beleidigen. Der Mönch hörte ruhig zu und lächelte nur. Der junge Mann war verwirrt und fragte: „Warum reagierst du nicht auf meine Beleidigungen?“ Der Mönch antwortete: „Wenn dir jemand ein Geschenk anbietet und du es nicht annimmst, wem gehört das Geschenk dann?“ Der junge Mann antwortete: „Dem, der es angeboten hat.“ Der Mönch lächelte wieder und sagte: „Genauso ist es mit deinen Beleidigungen. Wenn ich sie nicht annehme, gehören sie immer noch dir.“
Die Beleidigungen waren offensichtlich persönlich gemeint. Aber sie haben in dem Mönch keine Stressreaktion ausgelöst. Er war in der Lage, zu sehen: Die Beleidigungen entstehen im Gehirn des Beleidigers. Der Mönch konnte sie so betrachten. Sein Stressmechanismus wurde nicht ausgelöst.
Wäre er ausgelöst worden, hätte das bedeutet: das sympathische Nervensystem wird aktiviert. Hormone wie Adrenalin und Cortisol werden freigesetzt, was zu körperlichen Reaktionen führt: Unser Herz schlägt schneller, um uns auf eine Reaktion vorzubereiten, die Atmung wird schneller, um mehr Sauerstoff aufzunehmen, und unsere Muskeln spannen sich an, als ob wir gleich körperlich reagieren müssten. Wir gehen in den Kampf- oder Fluchtmodus: wir reagieren defensiv oder aggressiv, indem wir uns rechtfertigen oder laut werden. Oder wir ziehen uns emotional zurück, brechen das Gespräch ab oder distanzieren uns innerlich. Keine besonders aussichtsreiche Kommunikationsstrategie.
Warum wird dieser Mechanismus ausgelöst, wo er doch so wenig nützlich ist? Eine Erklärung ist: Es handelt sich um einen evolutionär alten Mechanismus, der darauf programmiert ist, uns zu schützen. Wenn unser Gehirn eine Bedrohung wahrnimmt, setzt es eine solche Stressreaktion in Gang. Sie ist darauf ausgelegt, uns in gefährlichen Situationen schnell handeln zu lassen. Eine andere Erklärung besteht darin, dass wir an traumatische Situationen, besonders in der Kindheit, erinnert werden.
Die gute Nachricht ist: Wir können unser Gehirn umprogrammieren. Zum Beispiel durch Meditation. Achtsamkeitsmeditation stärkt die Wahrnehmung kontraproduktiver Mechanismen, ohne sie ausagieren zu müssen. Mitgefühlsmeditation stärkt unsere freundliche Wahrnehmung anderer und von uns selbst. Das erlaubt uns einen Perspektivwechsel. Die meisten Handlungen und Worte anderer Menschen sagen mehr über sie aus als über uns. Wir sind in der Lage, die Motive anderer besser zu verstehen und sie weniger persönlich zu nehmen.
Macht uns das cool, distanziert und unerreichbar? Ganz im Gegenteil. Wir fühlen uns nicht mehr fundamental bedroht und lehnen die anderen, von denen wir uns bedroht fühlen, nicht mehr völlig ab. So können wir genauer hören und so handeln, wie es schon in der Bibel steht: „Prüfet alles und das Gute behaltet.“ Wie könnte in diesem Sinne die Geschichte von dem Mönch weitergehen?
Vielleicht hätte der Mönch dem jungen Mann einfühlsam zugehört und gefragt, warum er so wütend ist. Durch sein ruhiges und nicht reaktives Verhalten hätte er dem jungen Mann die Möglichkeit gegeben, sich zu öffnen und seine wahren Gefühle zu teilen. Der Mönch hätte so nicht nur einen potenziellen Konflikt entschärft, sondern auch eine tiefere Verbindung zu dem jungen Mann aufgebaut.
In diesem Sinne lade ich euch ein, die Praxis der Achtsamkeit und des Mitgefühls in euer tägliches Leben zu integrieren.